Kapitel 5: Zeit- und Kapazitätswirtschaft

An die Materialwirtschaft schließt sich die Zeit- und Kapazitätswirtschaft an, anschließend erfolgt die Auftragsfreigabe.
Im Rahmen dieses Kapitels werden die folgenden Funktionen bearbeitet:

Kapazitätsterminierung

Belastungsübersicht

Kapazitätsabgleich

Auftragsfreigabe

 

Aufgaben der Zeit- und Kapazitätswirtschaft

Ergebnis der Zeit- und Kapazitätswirtschaft ist, daß für alle Aufträge zeitlich und kapazitätsmäßig realisierbare frühestmögliche und spätestzulässige Start- und Endtermine bestimmt sind.
Die beim Kapazitätsabgleich berechneten Termine werden als Ausgangsgrößen an die Auftragsfreigabe übermittelt.
Um die Aufgaben erfüllen zu können, arbeitet die Zeit- und Kapazitätswirtschaft in drei aufeinanderfolgenden Schritten:

1. Kapazitätsterminierung

2. Belastungsübersichten erstellen

3. Kapaizitätsabgleich

 

Komponenten der Durchlaufzeit

Die Durchlaufzeit ist einer der zentralen Begriffe der Zeit- und Kapazitätswirtschaft. Aus diesem Grund werden zunächst die Bestandteile der Durchlaufzeit näher erläutert.
Die Durchlaufzeit kann bezogen werden auf einen Auftrag und auf einen Arbeitsgang.
Unter der Durchlaufzeit eines Auftrages wird grundsätzlich diejenige Zeitspanne verstanden, die zwischen dem Beginn der Fertigung und dessem Ende liegt.
Entsprechend ist die Durchlaufzeit eines Arbeitsganges die Zeitspanne zwischen dem Fertigungsbeginn des betrachteten Arbeitsganges und dessen Ende.

 

Die Komponenten der Durchlaufzeit

Die Durchlaufzeit eines Arbeitsganges setzt sich aus folgenden Zeitkomponenten zusammen:

Wartezeit bzw. Liegezeit vor der Bearbeitung: Zeitspanne zwischen Ankunft der zu bearbeitenden Materialien an einem Arbeitsplatz und dem Beginn der eigentlichen Bearbeitung bzw. dem Beginn der Rüstens.

Rüstzeit: Die Rüstzeit ist diejenige Zeit, die benötigt wird, um den Arbeitsplatz für die Bearbeitung vorzubereiten.

Bearbeitungszeit: Die Bearbeitungszeit ist die Zeit für die eigentliche Bearbeitung des Fertigungsauftrages an dem betrachteten Arbeitsplatz. Rüstzeit und Bearbeitungszeit werden auch zur Belegungszeit zusammengefaßt.

Wartezeit bzw. Liegezeit vor der Kontrolle: Zeitspanne zwischen dem Abschluß der Bearbeitung und dem Beginn der Qualitätskontrolle.

Kontrollzeit: Zeit, die für die Kontrolle benötigt wird.

Wartezeit bzw. Liegezeit vor Transport: Zeitspanne zwischen dem Abschluß der Kontrolle und dem Beginn des Transportes zum nächsten Arbeitsplatz

Transportzeit: Zeit, die für den Transport zum nächsten Arbeitsplatz benötigt wird.

 

Komponenten der Durchlaufzeit

Für die Übergangs- bzw. Durchlaufzeiten der Fertigungsaufträge werden grobe Durchschnittswerte angegeben, weil keine allgemeingültigen Verfahren zu deren Berechnung existieren.
Aus diesem Grund müssen Erfahrungswerte herangezogen werden. Warte- und Liegezeiten werden häufig auch zusammenfassend als Übergangszeiten bezeichnet und stellen den größten Anteil an der Durchlaufzeit dar. Die Belegungszeit besitzt einen kleinen Anteil von 10-20%.

 

Die Komponenten der Durchlaufzeit

Die Wartezeit ist häufig nur eine Notlösung, mit der genügend Zeitspielraum geschaffen werden soll, um allen Eventualitäten begegnen zu können. Z.B. kann es vorkommen, daß zwei Aufträge (entsprechend der Planung der Materialwirtschaft) gleichzeitig an einem Arbeitsplatz eintreffen, aber natürlich nicht gleichzeitig gefertigt werden können.
Mir Einführung der Wartezeit bleibt genügend Puffer, um die festgelegten Termine realisieren zu können. Die Zielsetzung, die vereinbarten Liefertermine möglichst einzuhalten, führt bei übertriebener Vorsicht des Disponenten dazu, daß die Fertigungsaufträge oft zu früh freigegeben werden. Damit treten diese Aufträge zum einen bei der Kapazitätsinanspruchnahme in direkte Konkurrenz zu den bereits in der Fertigung befindlichen Aufträgen und "verstopfen" zum anderen die Werkstatt.

Die Kapazitätsterminierung

Im ersten Schritt, der Kapazitätsterminierung - auch Durchlaufterminierung genannt - werden realisierbare Start- und Endtermine für die Fertigungsaufträge ermittelt.
Dazu werden die Fertigungsaufträge auf den Betriebsmittelgruppen, auf denen sie später bearbeitet werden sollen, eingelastet. Die Bearbeitungszeit wird berücksichtigt, nicht jedoch die Kapazitäten der Betriebsmittelgruppen. Aus diesem Grund sind die hier ermittelten Start- und Endtermine nur vorläufig.
Es gibt mit der Vorwärtsterminierung und der Rückwärtsterminierung zwei verschiedene Verfahren.

 

Vorwärtsterminierung

Ausgangspunkt der Vorwärtsterminierung (auch progressive Terminierung genannt) ist der "Heute-Termin".
Von diesem werden die einzelnen Arbeitsgänge eines Fertigungsauftrages in Richtung Zukunft eingeplant. Dabei wird die Durchlaufzeit der einzelnen Arbeitsgänge sowie die Arbeitsgangreihenfolge berücksichtigt.
Das Ergebnis sind frühest mögliche Start- und Endtermine für jeden Arbeitsgang. Der Starttermin des ersten Arbeitsganges gibt gleichzeitig den Starttermin des gesamten Fertigungsauftrages an, entsprechend gibt der Endtermin des letzten Arbeitsganges auch den Fertigstellungstermin des gesamten Fertigungsauftrages an.

 

Die Vorwärtsterminierung

Da bei der Vorwärtsterminierung vom Heute-Termin ausgegangen wird, muß der Fertigstellungstermin vor dem gewünschten Liefertermin liegen. Ist dies nicht der Fall, so kann die Fertigung nicht in der geplanten Weise durchgeführt werden.
Bei der Vorwärtsterminierung entstehen in den meisten Fällen Liegezeiten. Diese können die Aufgabe von Puffern übernehmen, um Störungen aufzufangen. Damit kann auch im Fall von Störungen der Liefertermin eingehalten werden. Zu bedenken ist jedoch, daß im Normalfall, d.h. im Fall ohne Störungen, durch die überflüssige Liegezeit die Kapitalbindung erhöht wird.

 

Rückwärtsterminierung

Im Gegensatz zur Vorwärtsterminierung wird bei der Rückwärtsterminierung (auch retrograde Terminierung genannt) vom spätestmöglichen Fertigstellungszeitpunkt ausgegangen. Dies ist i.d.R. der vereinbarte Liefertermin.
Von diesem Termin aus werden die einzelnen Arbeitsgänge in Richtung des "Heute-Termins" eingeplant, wobei die Durchlaufzeiten sowie die Reihenfolge der Arbeitsgänge berücksichtigt werden.
Der Vorteil der Rückwärtsterminierung ist, daß die Teile erst zum spätest möglichen Zeitpunkt gefertigt werden. Das bedeutet, daß die Kapitalbindung gering ist. Dafür besteht jedoch die Gefahr, daß Störungen in der Fertigung nicht aufgefangen werden können.

 

Maßnahmen zur Reduzierung der Durchlaufzeit

Bei allen aufgeführten Terminierungsverfahren besteht die Gefahr, daß die vereinbarten Termine nicht realisiert werden können.
Beispielsweise kann bei der Vorwärtsterminierung der Fertigstellungstermin später als der Liefertermin sein oder bei der Rückwärtsterminierung der erforderliche Starttermin bereits verstrichen sein.
In diesen Fällen muß die Durchlaufzeit des Auftrages so stark verkürzt werden, daß der Auftrag doch noch ohne Terminprobleme gefertigt werden kann.
Folgende Maßnahmen können zur Verringerung der Durchlaufzeit eingesetzt werden:

Reduzierung der Übergangszeiten,

Splitting von Arbeitsgängen sowie

Überlappung von direkt aufeinanderfolgenden Arbeitsgängen.

 

Reduzierung der Übergangszeiten

Ergibt die Zeitrechnung, daß der vorgegebene Liefertermin eines Kundenauftrages nicht eingehalten werden kann oder der berechnete Starttermin bereits verstrichen ist, kann die Durchlaufzeit reduziert werden. Die einfachste Möglichkeit besteht darin, die Übergangszeiten (Wartezeiten und Liegezeiten) zu reduzieren.
Die Übergangszeiten werden häufig mit hohen Sicherheitspuffern ausgestattet. Damit soll genügend Dispositionsspielraum geschaffen werden, um auch in Engpaßsituationen die Liefertermine einhalten zu können.
Diese Puffer in den Übergangszeiten können zur Verkürzung der Durchlaufzeiten herangezogen werden, wobei eine Reduktion natürlich nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist.
 

Splitting von Arbeitsgängen

Bei diesem Verfahren wird die Gesamtbearbeitungszeit gekürzt, indem die zu fertigenden Teile auf mehrere gleiche Betriebsmittel verteilt und parallel bearbeitet werden.
Voraussetzung ist, daß mehrere gleiche Maschinen zur Verfügung stehen oder zumindest zwei Maschinen, die die gleiche Tätigkeit ausführen können.
Durch die gleichzeitige Herstellung von Teillosen reduziert sich aber nur die Zeitspanne der Bearbeitungszeit. Die Rüstzeit und damit auch die Rüstkosten, die bei einem Los nur einmal anfallen, multiplizieren sich jedoch mit der Anzahl der Teillose. Aus diesem Grund ist Splitting nur bei größeren Losen sinnvoll.
 

Überlappung von Arbeitsgängen

Auch beim Überlappen von Arbeitsgängen wird die gesamt zu bearbeitende Menge in kleinere Lose aufgeteilt.
Die Teillose werden sofort nach Ende der Bearbeitung an den nächsten Arbeitsplatz weitergeleitet, ohne daß die Fertigstellung des gesamten Auftrages abgewartet wird. An dem Folgearbeitsplatz kann damit schon zu einem entsprechend früheren Zeitpunkt mit der Weiterbearbeitung fortgefahren werden.
Voraussetzung ist, daß die Lose groß genug sind. Da die Bearbeitungszeiten bei verschiedenen Arbeitsgängen i.d.R. nicht gleich sind, können an der nächsten Maschine zusätzliche Warte- und Stillstandszeiten entstehen.

Belastungsübersichten

Um eine überschaubare Darstellung der Auslastung der Betriebsmittelgruppen zu erhalten, wird im zweiten Schritt eine Belastungsübersicht erstellt.
In einer Belastungsübersicht wird die kapazitative Beanspruchung einer Betriebsmittelgruppe in einem bestimmten Zeitraum dargestellt.
Da in der Durchlaufterminierung lediglich die terminliche Realisierbarkeit der Fertigungsaufträge betrachtet wird, können sich in den Belastungsprofilen Kapazitätsüber- bzw. -unterlasten abzeichnen.
Durch eine Gegenüberstellung der zur Verfügung stehenden Kapazität wird deutlich, wo diese überschritten ist und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden müssen.

Der Kapazitätsabgleich

Im dritten Schritt, dem Kapazitätsabgleich, wird versucht, die Kapazitätenbelastung nach bestimmten Optimierungskriterien zu glätten. Insbesondere ist es natürlich entscheidend, Überschreitungen der maximal zulässigen Kapazität zu verhindern.
Maßnahmen dazu sind:

Einfügen von Überstunden bzw. Zusatzschichten

Verlagerung von Arbeitsgängen aus kritischen Betriebsmittelgruppen auf funktionsähnliche Betriebsmittelgruppen mit freier Kapazität

Erhöhung der Fertigungsintensität

zeitliche Verlagerung von Arbeitsgängen in Perioden mit geringerer Auslastung der gleichen Betriebsmittelgruppe

 

Auftragsfreigabe

Die Auftragsfreigabe ist die Verbindung zwischen Planungs- und Realisierungsphase.
Sie wählt nach einer Verfügbarkeitsprüfung der benötigten Ressourcen aus dem gesamten Fertigungsauftragsbestand die in einem anstehenden kürzeren Zeitraum zu fertigenden Aufträge aus und stellt diese der Feinsteuerung zur Verfügung.
Gleichzeitig werden die benötigten Ressourcen reserviert und damit fest an die Aufträge gebunden.

In diesem Kapitel wurde die Kapazitätswirtschaft behandelt. Im sechsten Kapitel wird abschießend auf die Fertigungssteuerung eingegangen.