An die Materialwirtschaft schließt sich die Zeit- und Kapazitätswirtschaft
an, anschließend erfolgt die Auftragsfreigabe.
Im Rahmen dieses Kapitels werden die folgenden Funktionen bearbeitet:
Ergebnis der Zeit- und Kapazitätswirtschaft ist, daß für alle Aufträge
zeitlich und kapazitätsmäßig realisierbare frühestmögliche und spätestzulässige
Start- und Endtermine bestimmt sind.
Die beim Kapazitätsabgleich berechneten Termine werden als Ausgangsgrößen an die
Auftragsfreigabe übermittelt.
Um die Aufgaben erfüllen zu können, arbeitet die Zeit- und Kapazitätswirtschaft
in drei aufeinanderfolgenden Schritten:
1. Kapazitätsterminierung
2. Belastungsübersichten erstellen
3. Kapaizitätsabgleich
Die Durchlaufzeit ist einer der zentralen Begriffe der Zeit- und
Kapazitätswirtschaft. Aus diesem Grund werden zunächst die Bestandteile der
Durchlaufzeit näher erläutert.
Die Durchlaufzeit kann bezogen werden auf einen Auftrag und auf einen
Arbeitsgang.
Unter der Durchlaufzeit eines Auftrages wird grundsätzlich diejenige Zeitspanne
verstanden, die zwischen dem Beginn der Fertigung und dessem Ende liegt.
Entsprechend ist die Durchlaufzeit eines Arbeitsganges die Zeitspanne zwischen
dem Fertigungsbeginn des betrachteten Arbeitsganges und dessen Ende.
Die Durchlaufzeit eines Arbeitsganges setzt sich aus folgenden Zeitkomponenten zusammen:
Wartezeit bzw. Liegezeit vor der Bearbeitung:
Zeitspanne zwischen Ankunft der zu bearbeitenden Materialien an einem
Arbeitsplatz und dem Beginn der eigentlichen Bearbeitung bzw. dem Beginn der
Rüstens.
Rüstzeit: Die Rüstzeit ist diejenige Zeit,
die benötigt wird, um den Arbeitsplatz für die Bearbeitung vorzubereiten.
Bearbeitungszeit: Die Bearbeitungszeit ist
die Zeit für die eigentliche Bearbeitung des Fertigungsauftrages an dem
betrachteten Arbeitsplatz. Rüstzeit und Bearbeitungszeit werden auch zur
Belegungszeit zusammengefaßt.
Wartezeit bzw. Liegezeit vor der Kontrolle:
Zeitspanne zwischen dem Abschluß der Bearbeitung und dem Beginn der
Qualitätskontrolle.
Kontrollzeit: Zeit, die für die Kontrolle
benötigt wird.
Wartezeit bzw. Liegezeit vor Transport:
Zeitspanne zwischen dem Abschluß der Kontrolle und dem Beginn des Transportes
zum nächsten Arbeitsplatz
Transportzeit: Zeit, die für den Transport
zum nächsten Arbeitsplatz benötigt wird.
Für die Übergangs- bzw. Durchlaufzeiten der Fertigungsaufträge werden grobe
Durchschnittswerte angegeben, weil keine allgemeingültigen Verfahren zu deren
Berechnung existieren.
Aus diesem Grund müssen Erfahrungswerte herangezogen werden. Warte- und
Liegezeiten werden häufig auch zusammenfassend als Übergangszeiten bezeichnet
und stellen den größten Anteil an der Durchlaufzeit dar. Die Belegungszeit
besitzt einen kleinen Anteil von 10-20%.
Die Wartezeit ist häufig nur eine Notlösung, mit der genügend Zeitspielraum
geschaffen werden soll, um allen Eventualitäten begegnen zu können. Z.B. kann es
vorkommen, daß zwei Aufträge (entsprechend der Planung der Materialwirtschaft)
gleichzeitig an einem Arbeitsplatz eintreffen, aber natürlich nicht gleichzeitig
gefertigt werden können.
Mir Einführung der Wartezeit bleibt genügend Puffer, um die festgelegten Termine
realisieren zu können. Die Zielsetzung, die vereinbarten Liefertermine möglichst
einzuhalten, führt bei übertriebener Vorsicht des Disponenten dazu, daß die
Fertigungsaufträge oft zu früh freigegeben werden. Damit treten diese Aufträge
zum einen bei der Kapazitätsinanspruchnahme in direkte Konkurrenz zu den bereits
in der Fertigung befindlichen Aufträgen und "verstopfen" zum anderen die
Werkstatt.
Im ersten Schritt, der Kapazitätsterminierung - auch Durchlaufterminierung
genannt - werden realisierbare Start- und Endtermine für die Fertigungsaufträge
ermittelt.
Dazu werden die Fertigungsaufträge auf den Betriebsmittelgruppen, auf denen sie
später bearbeitet werden sollen, eingelastet. Die Bearbeitungszeit wird
berücksichtigt, nicht jedoch die Kapazitäten der Betriebsmittelgruppen. Aus
diesem Grund sind die hier ermittelten Start- und Endtermine nur vorläufig.
Es gibt mit der Vorwärtsterminierung und der
Rückwärtsterminierung zwei verschiedene Verfahren.
Ausgangspunkt der Vorwärtsterminierung (auch progressive Terminierung
genannt) ist der "Heute-Termin".
Von diesem werden die einzelnen Arbeitsgänge eines Fertigungsauftrages in
Richtung Zukunft eingeplant. Dabei wird die Durchlaufzeit der einzelnen
Arbeitsgänge sowie die Arbeitsgangreihenfolge berücksichtigt.
Das Ergebnis sind frühest mögliche Start- und Endtermine für jeden Arbeitsgang.
Der Starttermin des ersten Arbeitsganges gibt gleichzeitig den Starttermin des
gesamten Fertigungsauftrages an, entsprechend gibt der Endtermin des letzten
Arbeitsganges auch den Fertigstellungstermin des gesamten Fertigungsauftrages
an.
Da bei der Vorwärtsterminierung vom Heute-Termin ausgegangen wird, muß der
Fertigstellungstermin vor dem gewünschten Liefertermin liegen. Ist dies nicht
der Fall, so kann die Fertigung nicht in der geplanten Weise durchgeführt
werden.
Bei der Vorwärtsterminierung entstehen in den meisten Fällen Liegezeiten. Diese
können die Aufgabe von Puffern übernehmen, um Störungen aufzufangen. Damit kann
auch im Fall von Störungen der Liefertermin eingehalten werden. Zu bedenken ist
jedoch, daß im Normalfall, d.h. im Fall ohne Störungen, durch die überflüssige
Liegezeit die Kapitalbindung erhöht wird.
Im Gegensatz zur Vorwärtsterminierung wird bei der Rückwärtsterminierung
(auch retrograde Terminierung genannt) vom spätestmöglichen
Fertigstellungszeitpunkt ausgegangen. Dies ist i.d.R. der vereinbarte
Liefertermin.
Von diesem Termin aus werden die einzelnen Arbeitsgänge in Richtung des "Heute-Termins"
eingeplant, wobei die Durchlaufzeiten sowie die Reihenfolge der Arbeitsgänge
berücksichtigt werden.
Der Vorteil der Rückwärtsterminierung ist, daß die Teile erst zum spätest
möglichen Zeitpunkt gefertigt werden. Das bedeutet, daß die Kapitalbindung
gering ist. Dafür besteht jedoch die Gefahr, daß Störungen in der Fertigung
nicht aufgefangen werden können.
Bei allen aufgeführten Terminierungsverfahren besteht die Gefahr, daß die
vereinbarten Termine nicht realisiert werden können.
Beispielsweise kann bei der Vorwärtsterminierung der Fertigstellungstermin
später als der Liefertermin sein oder bei der Rückwärtsterminierung der
erforderliche Starttermin bereits verstrichen sein.
In diesen Fällen muß die Durchlaufzeit des Auftrages so stark verkürzt werden,
daß der Auftrag doch noch ohne Terminprobleme gefertigt werden kann.
Folgende Maßnahmen können zur Verringerung der Durchlaufzeit eingesetzt werden:
Reduzierung der
Übergangszeiten,
Splitting von
Arbeitsgängen sowie
Überlappung von direkt
aufeinanderfolgenden Arbeitsgängen.
Ergibt die Zeitrechnung, daß der vorgegebene Liefertermin eines
Kundenauftrages nicht eingehalten werden kann oder der berechnete Starttermin
bereits verstrichen ist, kann die Durchlaufzeit reduziert werden. Die einfachste
Möglichkeit besteht darin, die Übergangszeiten (Wartezeiten und Liegezeiten) zu
reduzieren.
Die Übergangszeiten werden häufig mit hohen Sicherheitspuffern ausgestattet.
Damit soll genügend Dispositionsspielraum geschaffen werden, um auch in
Engpaßsituationen die Liefertermine einhalten zu können.
Diese Puffer in den Übergangszeiten können zur Verkürzung der Durchlaufzeiten
herangezogen werden, wobei eine Reduktion natürlich nur bis zu einem gewissen
Grad möglich ist.
Bei diesem Verfahren wird die Gesamtbearbeitungszeit gekürzt, indem die zu
fertigenden Teile auf mehrere gleiche Betriebsmittel verteilt und parallel
bearbeitet werden.
Voraussetzung ist, daß mehrere gleiche Maschinen zur Verfügung stehen oder
zumindest zwei Maschinen, die die gleiche Tätigkeit ausführen können.
Durch die gleichzeitige Herstellung von Teillosen reduziert sich aber nur die
Zeitspanne der Bearbeitungszeit. Die Rüstzeit und damit auch die Rüstkosten, die
bei einem Los nur einmal anfallen, multiplizieren sich jedoch mit der Anzahl der
Teillose. Aus diesem Grund ist Splitting nur bei größeren Losen sinnvoll.
Auch beim Überlappen von Arbeitsgängen wird die gesamt zu bearbeitende Menge
in kleinere Lose aufgeteilt.
Die Teillose werden sofort nach Ende der Bearbeitung an den nächsten
Arbeitsplatz weitergeleitet, ohne daß die Fertigstellung des gesamten Auftrages
abgewartet wird. An dem Folgearbeitsplatz kann damit schon zu einem entsprechend
früheren Zeitpunkt mit der Weiterbearbeitung fortgefahren werden.
Voraussetzung ist, daß die Lose groß genug sind. Da die Bearbeitungszeiten bei
verschiedenen Arbeitsgängen i.d.R. nicht gleich sind, können an der nächsten
Maschine zusätzliche Warte- und Stillstandszeiten entstehen.
Um eine überschaubare Darstellung der Auslastung der Betriebsmittelgruppen zu
erhalten, wird im zweiten Schritt eine Belastungsübersicht erstellt.
In einer Belastungsübersicht wird die kapazitative Beanspruchung einer
Betriebsmittelgruppe in einem bestimmten Zeitraum dargestellt.
Da in der Durchlaufterminierung lediglich die terminliche Realisierbarkeit der
Fertigungsaufträge betrachtet wird, können sich in den Belastungsprofilen
Kapazitätsüber- bzw. -unterlasten abzeichnen.
Durch eine Gegenüberstellung der zur Verfügung stehenden Kapazität wird
deutlich, wo diese überschritten ist und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden
müssen.
Im dritten Schritt, dem Kapazitätsabgleich, wird versucht, die
Kapazitätenbelastung nach bestimmten Optimierungskriterien zu glätten.
Insbesondere ist es natürlich entscheidend, Überschreitungen der maximal
zulässigen Kapazität zu verhindern.
Maßnahmen dazu sind:
Einfügen von Überstunden bzw. Zusatzschichten
Verlagerung von Arbeitsgängen aus kritischen
Betriebsmittelgruppen auf funktionsähnliche Betriebsmittelgruppen mit freier
Kapazität
Erhöhung der Fertigungsintensität
zeitliche Verlagerung von Arbeitsgängen in
Perioden mit geringerer Auslastung der gleichen Betriebsmittelgruppe
Die Auftragsfreigabe ist die Verbindung zwischen Planungs- und
Realisierungsphase.
Sie wählt nach einer Verfügbarkeitsprüfung der benötigten Ressourcen aus dem
gesamten Fertigungsauftragsbestand die in einem anstehenden kürzeren Zeitraum zu
fertigenden Aufträge aus und stellt diese der Feinsteuerung zur Verfügung.
Gleichzeitig werden die benötigten Ressourcen reserviert und damit fest an die
Aufträge gebunden.
In diesem Kapitel wurde die Kapazitätswirtschaft behandelt. Im sechsten Kapitel wird abschießend auf die Fertigungssteuerung eingegangen.