Kapitel 6: Fertigungssteuerung

Mit der Fertigungssteuerung und -überwachung wird der Planungsbereich von PPS-Systemen verlassen und zur Steuerung übergegangen. Planungseinheiten sind jetzt die Arbeitsgänge und nicht mehr die Fertigungsaufträge, wie noch in der Zeit- und Kapazitätswirtschaft. Es werden die folgenden Aufgaben bearbeitet:

Feinsteuerung

Betriebsdatenerfassung

Kontrolle

Bei der Fertigungssteuerung geht es ins Detail.
Jetzt werden wirklich für jeden Arbeitsgang exakte Start- und Endtermine berechnet. Das kann sich im Minutenbereich abspielen. Dabei werden auch Störungen in der Fertigung berücksichtigt. Störungen können zum Beispiel daraus resultieren, daß Maschinen ausfallen.

Aufgaben der Fertigungssteuerung und -überwachung

Die einzelnen Aufgaben der Fertigungssteuerung und Überwachung sehen wie folgt aus:

Bei der Feinsteuerung wird die aktuelle Fertigungssituation betrachtet und die einzelnen Arbeitsgänge exakt eingeplant. Dabei findet ein ständiger Abgleich mit den aus der Fertigung rückgemeldeten Daten statt. Ergebnis der Feinterminierung sind Belegungspläne für jede Maschine.

Störungen, z.B. der Ausfall einer Maschine, können dazu führen, daß die Produktion nicht wie geplant durchgeführt werden kann. Um in solchen Fällen möglichst umgehend eingreifen zu können, werden die aktuellen Fertigungsdaten im Rahmen der Betriebsdatenerfassung ständig aufgezeichnet.

Bei der Kontrolle werden die zurückgemeldeten Daten mit den Planwerten der Feinterminierung verglichen.

Feinsteuerung

Die in den Planungsstufen eines PPS-Systems bis einschließlich zur Auftragsfreigabe verfolgten Zielsetzungen verwenden den Fertigungsauftrag als Planungseinheit.
In der Fertigungssteuerung können aber auch andere Planungseinheiten im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Für die Auswahl der Planungseinheit sind unterschiedliche Zielsetzungen ausschlaggebend:

Minimale Durchlaufzeit der Aufträge (Fertigungsauftrag)

Maximale Kapazitätsauslastung von Betriebsmitteln (Betriebsmittel)

Termineinhaltung (Fertigungsauftrag)

Minimierung der Rüstkosten (Fertigungsauftrag)

Maximale Materialausnutzung (Material)

Planungsregeln

In der Praxis sind Planungsregeln verbreitet, die eine exakte Steuerung der Fertigung unmöglich machen. Die Ziele der Feinsteuerung werden nur zufällig erfüllt.
Solche "Planungsregeln" sind z.B.: "Je größer der Output einer Werkstatt sein soll, desto mehr Aufträge muß man hineingeben!" Problematisch ist, daß der Werkstattbestand unnötig erhöht wird und zusätzliche Kosten verursacht. Auch streuen die Durchlaufzeiten der Fertigungsaufträge stark.

Zur Bestimmung der Maschinenbelegung existieren deshalb eine große Anzahl von Lösungsansätzen. Bei den exaktren Verfahren, z.B. gemischt ganzzahlige Programme sowie Branch-and-Bound-Verfahren, wird die bestmögliche Lösung gesucht.
Zwar lassen sich mit diesen Verfahren sehr komplexe Entscheidungsprobleme lösen, trotzdem aber werden die Verfahren in PPS-Systemen kaum verwendet.
Dies ist u.a. auf die langen Rechenzeiten, die zur Lösung von realen Problemen nötig sind, zurückzuführen.
Auch basieren die Lösungsansätze auf Modelle, die die betriebliche Fertigungssituation nur schlecht abbilden. Auf diese Verfahren wird deshalb nicht näher eingegangen.

Im Gegensatz zu den exakten Verfahren führen heuristischen Methoden nicht unbedingt zu einer optimalen Lösung. I.d.R. liefern sie jedoch gute Planungsergebnisse, die zudem mit einem vertretbaren Aufwand erreicht werden können.
In der Praxis werden deshalb sehr häufig Prioritätsziffern zur Feinterminierung verwendet. Prioritätsziffern sind Vorschriften, die jedem Arbeitsgang einen bestimmten Wert zuordnen, der dann die Bearbeitungsreihenfolge bestimmt.

Prioritätsziffern

Der Ablauf der Feinterminierung mit Hilfe von Prioritätsziffern sieht folgendermaßen aus:
Der Ablauf beginnt mit der Periode, die als nächstes eingeplant werden soll.
Für jede Betriebsmittelgruppe werden zunächst alle Arbeitsgänge durchlaufen, deren Starttermin in der betrachteten (nächsten) Periode liegen soll. Damit wird sichergestellt, daß die geplanten Starttermine beachtet werden.

Arbeitsgänge, die in der betrachteten Periode liegen, werden danach überprüft, ob der vorherige Arbeitsgang abgeschlossen ist.
Weiterhin wird der Arbeitsgang daraufhin untersucht, ob die zur Bearbeitung benötigten Ressourcen (z.B. Mitarbeiter, Werkzeuge, NC-Programme) zur Verfügung stehen.
Bei der Überprüfung der Ressourcen wird nicht von der augenblicklichen Vefügbarkeit zum Zeitpunkt der Planung ausgegangen, sondern von der Verfügbarkeit zu dem geplanten Starttermin, also der betrachteten Periode. Ist der Vorgänger-Arbeitsgang beendet und stehen die benötigten Ressourcen zur Verfügung, so ist der Arbeitsgang einplanbar und wird entsprechend markiert.

Die so markierten Arbeitsgänge sollen nun auf den Betriebsmittelgruppen eingeplant werden.
Dazu werden die Betriebsmittel einer Betriebsmittelgruppe so lange durchlaufen, wie freie Kapazität zur Verfügung steht und einplanbare Arbeitsgänge vorhanden sind.
Eingeplant wird zunächst der Arbeitsgang mit der höchsten Priorität. Für diesen Arbeitsgang werden auch die benötigten Ressourcen belegt und stehen für andere Arbeitsgänge zu dem betrachteten Zeitpunkt nicht mehr zur Verfügung.
Die Arbeitsgänge werden in der Reihenfolge ihrer Priorität auf den Betriebsmitteln eingeplant. Der Algorithmus bricht ab, wenn entweder kein einplanbarer Arbeitsgang mehr vorhanden ist, oder aber die Kapazität der Betriebsmittel erschöpft ist.
Die nicht eingeplanten Arbeitsgänge sind die, die die geringste Priorität besitzen. Bei diesen wird der Starttermin um eine Periodeneinheit erhöht und der Algorithmus erneut durchlaufen.

Arten von Prioritätsziffern

In der Praxis werden eine ganze Reihe von Prioritätsziffern verwendet, die im folgenden näher dargestellt werden sollen:
Kürzeste-Operationszeit-Regel: Es erhält derjenige Auftrag die höchste Priorität, der die kürzeste Bearbeitungszeit bei dem betrachteten Arbeitsplatz in Anspruch nimmt.

Kürzeste Fertigungsrestzeit-Regel: Der Auftrag, dessen Bearbeitungszeit der noch zu bearbeitenden Arbeitsgänge am geringsten ist, erhält die höchste Priorität.

Liefertermin-Regel: Bei dieser Regel wird derjenige Auftrag als erstes bearbeitet, dessen Endtermin (Fertigstellungs- oder Liefertermin) am nächsten liegt.

Weitere Prioritätsziffern sind:

Verzugszeit-Regel: Der Auftrag mit dem längsten Verzug wird am frühesten bearbeitet. Liegt keine terminliche Abweichung vor, wird der Auftrag, der am ehesten verzugsgefährdet ist, vorgezogen.

First-in-first-out (FIFO): Die Aufträge werden in der Reihenfolge ihres Eintreffens am jeweiligen Arbeitsplatz bearbeitet.

externe Priorität: Die externe Priorität wird "von außen" (z.B. vom Betreibsleiter) festgelegt und besitzt keinen Bezug zur aktuellen Fertigungssituation.

Ziele der Prioritätsziffern

Mit diesen Prioritätsziffern können unterschiedliche Zielsetzungen der Fertigungssteuerung erreicht werden.
Die Kürzeste-Operationszeit-Regel und die Kürzeste-Fertigungsrestzeit-Regel streben die Minimierung der Durchlaufzeit an.

Mit der Liefertermin-, der Verzugszeit- und der FIFO-Regel wird die pünktliche Termineinhaltung angestrebt.

Der Abschluß der Feinterminierung ist ein geeigneter Zeitpunkt zur Bereitstellung der Arbeitspapiere, weil nun detaillierte Vorgaben für die Realisierung der Fertigung vorhanden sind. Arbeitspapiere sind z.B. Laufkarten, Lohnscheine und Materialentnahmescheine.

Raffung oder Splitting der Fertigungsauftragsarbeitsgänge

Das Verfolgen der Zielsetzungen kann zur Folge haben, daß die in der Zeit- und Kapazitätswirtschaft gebildeten Fertigungsaufträge und die damit verbundenen Arbeitsgänge zu neuen Einheiten zusammengestellt werden müssen.
Die neuen Einheiten können durch Raffung oder Splitting der Fertigungsauftragsarbeitsgänge sowie deren Kombination gebildet werden.
Bei der Raffung werden Arbeitsgänge zusammengefaßt, während beim Splitting die Mengen eines Arbeitsganges geteilt werden.

Raffung der Fertigungsauftragsarbeitsgänge

Unter Raffung versteht man man das Zusammenfassen ähnlicher Arbeitsgänge zu einer neuen Sequenz, die auf einem Betriebsmittel in einem Arbeitsgang gefertigt werden.

Splitting der Fertigungsauftragsarbeitsgänge

Unter Splittung wird das Teilen eines Arbeitsganges in mehrer kleine Lose, die auf mehreren Betriebsmitteln gefertigt werden, verstanden.

Betriebsdatenerfassung

Im Anschluß an die Planung der Abarbeitungsreihenfolge der Arbeitsgänge an den Betriebsmitteln erfolgt die Fertigung der einzelnen Produkte bzw. Komponenten. Die Ist-Daten der Fertigung, z.B. Fertigungszeiten und -mengen, Materialverbrauch, Qualitäten, Störungen, usw., werden im Rahmen der Betriebsdatenerfassung zeitnah ermittelt.
Sie dienen als Ausgangsbasis für weitere Steuerungsfunktionen. Durch den ständigen Abgleich zwischen Sollwerten aus der Produktionsplanung und Ist-Werten aus der Betriebsdatenerfassung kann bei eventuell auftretenden Differenzen in den Fertigungsprozeß eingegriffen werden.

Im Rahmen der Betriebsdatenerfassung könne folgende Daten zurückgemeldet werden:

Auftragsbezogene Daten, z.B. Start- und Endtermin einer Maschinenbelegung, eines Arbeitsganges oder eines Auftrages, produzierte Menge, erreichte Qualität,

Mitarbeiterbezogene Daten, z.B. Anwesenheitszeiten, hergestellte Mengen und Qualitäten,

Betriebsmittelbezogene Daten, z.B. Laufzeiten, Wartungsmaßnahmen und Störungen,

Materialdaten, z.B. Entnahmedaten, Zugänge und Reservierungen sowie

Werkzeug- und Vorrichtungsdaten, z.B. Einsatzort und -zeit, aktuelle Entnahme und -zugang sowie Bruch.

Kontrolle und Datenmonitoring

Durch den Vergleich von Soll- und Ist-Werten werden die Stellgrößen auf aktuelle Fertigungszustände eingestellt. Darüber hinaus bilden die Daten eine Grundlage für ein Datenmonitoring. U.a. können folgende Berichte erstellt werden:

Auftragsübersichten

Kontrollisten für den Auftragsfortschritt

Auftragsrückstandslisten

Personalan/abwesenheitslisten

Fehlzeitanalysen

Betriebsmittelbelegungsübersichten

Störungsanalysen

Qualitätskontrolle

Lagerbestandsübersichten

Lagerbewegungsübersichten

In diesem Kapitel haben Sie gelernt, welche Aufgaben die Fertigunggssteuerung hat.
Sie wissen nun,

wie von einem PPS-System die sehr komplexe Feinsteuerung bearbeitet wird,

welche Daten im Rahmen der Betriebsdatenerfassung zurückgemeldet werden und

wie die Kontrolle dieser Daten aussieht.

Sie haben nun alle Module eines PPS-Systems kennengelernt.
Wir wollen uns nun von Ihnen verabschieden.
Sie können jetzt noch den Abschlußtest machen. Viel Erfolg!