Kapitel 4: Materialwirtschaft

An die Primärbedarfsermittlung schließt sich die Materialwirtschaft an. Die Materialwirtschaft umfaßt:

Bedarfsplanung

Beschaffung von Fremdteilen bei Lieferanten

Verwaltung der Läger

Die Materialwirtschaft ist durch das große Datenvolumen sowie die durchzuführenden dispositiven Aktivitäten ein wichtiger Bestandteil eines PPS-Systems.

Bedarfsplanung

Bei der Bedarfsplanung wird der Bedarf an Endprodukten in die entsprechenden Bedarfe an untergeordneten Teilen, also Baugruppen und Einzelteile, aufgelöst. Die Bedarfe werden zu Fertigungs- und zu Bestellaufträgen, den sogenannten Sekundärbedarfen, zusammengefaßt.
Zur Berechnung der Sekundärbedarfe bestehen grundsätzlich zwei Verfahren zur Verfügung:

bedarfsgesteuerte Disposition

verbrauchsgesteuerte Disposition

Die Entscheidung, welche Teile bedarfs- und welche verbrauchsgesteuerert disponiert werden, wird nach dem Wert der Teile und nach der Regelmäßigkeit des Bedarfsverlaufs getroffen. Eine Hilfestellung für die Entscheidung gibt die ABC-Analyse.

Die Dispositionsstufe

Ein zentraler Begriff der Disposition der der der Dispositionsstufe.

Die bedarfsgesteuerte Disposition

Bei der bedarfsgesteuerten Disposition wird der Bedarf eines Teiles aus den exakten Bedarfszahlen übergeordneter Teile abgeleitet. Dieses Verfahren - die sogenannte Brutto-Netto-Rechnung - liefert exakte Werte, ist aber sehr rechenaufwendig. Ablauf der Brutto-Netto-Rechnung:
Der Sekundärbedarf wird zunächst für die höchste Dispositionsstufe innerhalb des Gozintographen berechnet. Erst wenn ein Auftrag für die höchste Dispositionsstufe gebildet wurde, kann der Sekundärbedarf der nächsten Stufe berechnet werden. Diese Vorgehensweise setzt sich bis zur untersten Dispositionsstufe fort. Mit dieser Vorgehensweise ist sichergestellt, daß für sämtliche Teile Fertigungs- bzw. Beschaffungsaufträge gebildet werden, ohne daß ein Teil mehrfach berücksichtigt wird.

Brutto-Netto-Rechnung

Die Brutto-Netto-Rechnung wird in einer Reihe von Bearbeitungsschritten durchgeführt:

1. Ermittlung des Bruttobedarfs

Den Ausgangspunkt für die Ermittlung des Bruttobedarfs bildet der Primärbedarf. Dieser wird erweitert um

den Sekundärbedarf. Sekundärbedarf wird nur bei untergeordneten Dispositionsstufen gebildet,

den verbrauchsgesteuerten Bedarf. Verbrauchsgesteuerte Bedarf fällt bei Teilen mit niedrigem Verbrauchswert an und wird aus Vergangenheitswerten gebildet,

und den Zusatzbedarf. Der Zusatzbedarf ist ein prozentualer Zuschlag, der für Ausschuß und Schwund angesetzt wird. Grundlage zur Berechnung des Prozentsatzes sind Erfahrungswerte.

2. Ermittlung des verfügbaren Lagerbestandes

Zur Berechnung des verfügbaren Lagerbestandes (dispositiver Lagerbestand) wird zunächst vom aktuellen Lagerbestand ausgegangen. Dieser wird um offene Aufträge ergänzt. Offene Aufträge sind bei den Lieferanten oder in der eigenen Fertigung bereits erfolgte Bestellungen, mit denen zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechnet wird. Abgezogen wird der Sicherheitsbestand, der unvorhergesehene Bedarfsschwankungen ausgleichen soll und deshalb nicht für den normalen Bedarf eingesetzt wird.

3. Ermittlung des Nettobedarfs

Der Nettobedarf errechnet sich, indem vom Bruttobedarf zuzüglich den Reservierungen der verfügbare Lagerbestand abgezogen wird. Reservierungen erfolgen für Baugruppen und Einzelteile, die bereits fest für einen bestimmten Auftrag eingeplant sind und deshalb für andere Aufträge nicht mehr zur Verfügung stehen.

4. Losbildung

Die Nettobedarfsmengen aufeinanderfolgender Perioden können unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten zu Fertigungslosen bzw. Bestellmengen zusammengefaßt werden. Diese Vorgehensweise wird als Losbildung bezeichnet.

5. Berechnung des Sekundärbedarfs

Die Sekundärbedarfsmengen untergeordneter Teile werden aus dem Strukturzusammenhang der Stückliste sowie unter Berücksichtigung der Produktionskoeffizienten sowie der Vorlaufverschiebung berechnet.
Die Vorlaufverschiebung ist diejenige Zeitspanne, die das untergeordnete Teil mindestens vor dem Bedarfstermin des übergeordneten Teils zur Verfügung stehen muß. Die Vorlaufverschiebung berechnet sich aus der Durchlaufzeit des übergeordneten Teils abzüglich der Vorlaufzeit der Komponente und stellt sicher, daß die untergeordneten Teile rechtzeitig zur Verfügung stehen.
Die Brutto-Netto-Rechnung ist beendet, wenn für alle Teile ein Nettobedarf ermittelt und Fertigungs- bzw. Bestellaufträge gebildet wurden.

Die verbrauchsgesteuerte Disposition

Die verbrauchsgesteuerte Disposition ist nicht so aufwendig wie die bedarfsgesteuerte Disposition, dafür aber auch nicht so exakt.
Bei der verbrauchsgesteuerten Disposition wird der Bedarf mit Hilfe statistischer Verfahren aus den Verbrauchswerten der Vergangenheit abgeleitet. Es wird das Bestellpunktverfahren und das Bestellrhythmusverfahren unterschieden.

Bestellpunktverfahren

Beim Bestellpunktverfahren wird der verfügbare Bestand dem sogenannten Meldebestand gegenübergestellt. Eine Unterschreitung des Meldebestandes führt zu einer Vormerkung für die Bestellrechnung bzw. zu einem Bestellvorschlag.
Mit dieser Vorgehensweise wird sichergestellt, daß die Teile genau dann zur Verfügung stehen, wenn der Lagerbestand erschöpft ist bzw. den Sicherheitsbestand erreicht hat.
Der Sicherheitsbestand ist der Bestand, der dauernd auf Lager sein muß, um auch bei unvorhergesehenen Ereignissen eine reibungslose Produktion zu sichern. Da der Sicherheitsbestand jedoch permanent Lagerkosten verursacht, sollte er so gering wie möglich sein.

Bestellrhythmusverfahren

Beim Bestellrhythmusverfahren erfolgt in regelmäßigen Zeitabständen eine Bestellung.
Dabei wird der Lagerbestand nicht kontrolliert, ein konstanter Verbrauch ist also Voraussetzung.

ABC-Analyse

Grundlage der Entscheidung, ob ein Teil bedarfs- oder verbrauchsgesteuert disponiert wird, ist die ABC-Analyse.
Bei einer ABC-Analyse werden die Teile in die Klassen A, B oder C eingeteilt. Kriterium für die Einteilung ist dabei der wert- und der mengenmäßige Anfall des Teils im Unternehmen.
Die Teile mit einem geringen mengenmäßigen Anfall aber einem hohen wertmäßigen, werden in die A-Kategorie eingeteilt, umgekehrt die Teile mit einem hohen mengenmäßigen Anteil bei einem nur geringen wertmäßigen in die C-Kategorie.
In der Praxis hat sich herausgestellt, daß 10% der Teile bereits 70% des Jahresverbrauchswertes ausmachen, 20% der Teile 20% des Verbrauchswertes und 70% der Teile nur 10% des Verbrauchswertes.

ABC-Analyse

Aus der Einteilung können folgende Rückschlüsse gezogen werden:

A-Teile werden bedarfsgesteuert disponiert, da eine ungenaue Planung zu hohen Lager- oder Fehlmengenkosten führt. C-Teile werden verbrauchsgesteuert disponiert, während B-Teile entsprechend den Erfordernissen entweder den A- oder den C-Teilen zugeordnet werden.

Für A-Teile erfolgt eine genaue Bestandsrechnung mit Überprüfung der Lagerdauer, während für die C-Teile nur eine grobe Bestandsrechnung durchgeführt wird. Eine Überprüfung der Lagerdauer ist i.d.R. nicht notwendig.

Mit dieser Vorgehensweise soll berücksichtigt werden, daß eine bedarfsgesteuerte Disposition zwar genauer, aber auch wesentlich rechenaufwendiger ist.

Beschaffung

Aufgabe der Beschaffung ist, auf wirtschaftliche Weise, zu jedem Zeitpunkt, in der entsprechenden Menge und an dem richtigen Ort die benötigten Materialien und Einzelteile bereitzustellen.
Die Beschaffung läuft immer nach demselben Schema ab:
Beschaffungsaufträgen vorgelagert ist i.d.R. die Anfrage bei Lieferanten. Eine Anfrage dient dazu, sich eine Markübersicht über die benötigten Artikel zu verschaffen.
Auf die Anfrage hin werden von den Lieferanten Angebote erstellt, die über die Leistungen informieren. Das Angebot enthält Angaben zur Produktspezifikationen, Angebotsmenge, Preis, Liefertermin und Lieferkonditionen. Die Angebote der Lieferanten müssen auf ihre Leistungsfähigkeit hin untersucht werden.

Die Beschaffung

Entspricht das Angebot den Vorstellungen, so erfolgt eine Bestellung bei den Lieferanten für den der Lieferant eine Auftragsbestätigung erstellt.
Nach erfolgter Fertigung wird durch den Lieferanten ein Lieferschein erstellt und der Versand veranlaßt. Der Lieferschein dient als Bestätigung für den Empfang der Ware. Bevor der Empfang bestätigt wird, ist die Lieferung auf Richtigkeit, Vollständigkeit sowie Qualität zu untersuchen. Bei dieser Überprüfung dienen die bereits bei der Auftragserteilung erfaßten Daten als Grundlage.
Auch die Rechnung des Lieferanten ist auf deren Korrektheit zu überprüfen. Als Grundlage dienen hier vor allem Bestellschein und Lieferschein. Gleichzeitig werden die kostenrelevanten Daten an die Finanzbuchhaltung weitergeleitet, die mit der Bezahlung der Rechnung betraut ist.

Lagerverwaltung

Die verbrauchsgesteuerte und bedarfsgesteuerte Disposition setzt eine aktuelle Führung der Lagerbestände voraus. Aus diesem Grund ist die Lagerführung in allen PPS-Systemen integriert.
Aufgabe der Lagerverwaltung ist die Führung aktueller Lagerbestände für sämtliche lagerfähigen Teile im Unternehmen, also z.B. für Einzelteile, Zwischenprodukte und Enderzeugnisse. Eine aktuelle Bestandsführung ist Voraussetzung für korrekte Bedarfsplanung.

Die Inventur

Zu einer Lagerverwaltung gehört auch eine Inventur. Eine Inventur ist die Erfassung der physischen Lagerbestände zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Anhand einer Zählliste werden die aktuellen Lagerbestände durch den zuständigen Sachbearbeiter erfaßt. Bei Differenzen wird der vom PPS-System verwaltete Lagerbestand, der sich durch die Lagerzu- und -abgangsbuchungen berechnet, korrigiert. Differenzen zwischen dem physischen Lagerbestand und dem Soll-Lagerbestand, wie er im PPS-System verwaltet wird, kann z.B. durch Schwund verursacht werden.
Die Inventur kann auf zwei verschiedene Arten durchgeführt werden, als Stichtagsinventur oder als permanente Inventur.

Die Stichtagsinventur

Bei der Stichtagsinventur werden an einem bestimmten Tag die aktuellen Lagerbestände erfaßt.
Die Stichtagsinventur findet dabei üblicherweise am Jahresende statt, da hier alle Lagerbewegungen verbucht sind.
Ein großer Vorteil dieser Inventur ist die einfache organisatorische Durchführung sowie die Sicherheit der Ergebnisse, da zu dem Zeitpunkt der Inventur keine Lagerbewegungen mehr stattfinden. Dies setzt allerdings eine Unterbrechnung des Betriebsgeschehens zum Zeitpunkt der Inventur voraus.

Die permanente Inventur

Im Gegensatz zur Stichtagsinventur kann die permanente Inventur auf einen beliebigen Zeitraum im Jahr verteilt werden.
Die permanente Inventur benutzt die Daten, die zum Zeitpunkt der Buchung der Inventurdifferenzen vorliegen und bietet den Vorteil, daß für die Inventur keine Unterbrechung des Betriebsgeschehens zum Jahresende notwendig ist. Weiterhin steht ausreichend Zeit für eine gründliche Differenzensuche zur Verfügung. Für kritische Bestände besteht die Möglichkeit, häufiger eine Bestandsaufnahme durchzuführen.

Dieses Kapitel enthielt Informationen über die Materialwirtschaft.
In den nächsten beiden Kapiteln werden die Zeit- und die Kapazitätswirtschaft erläutert.